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Die Entstehung des Bildindex zur Politischen Ikonographie

Der Bildindex zur Politischen Ikonographie (BPI) ist aus einem privaten Forschungsapparat des Kunsthistorikers Martin Warnke (1937–2019) entstanden. Warnke hatte eine Sammlung politischer Bilder auf Karteikarten angelegt, um Anschauungsmaterial unmittelbar zur Hand zu haben. Damit war er während der Arbeit weniger von fachspezifischen Bibliotheken, Diatheken und Bildarchiven abhängig und konnte das Material nach eigenen Vorstellungen ordnen. 1978 an die Hamburger Universität berufen, erweiterte er den BPI und institutionalisierte ihn später am Warburg-Haus, das 1993 unter der Leitung Warnkes seine Arbeit als Ort kunst- und kulturwissenschaftlicher Forschung in der Nachfolge Aby Warburgs wieder aufnahm. 

Marburg: Impulse
Schon während seiner Professur in Marburg ab 1971 beschäftigte sich Warnke mit der Systematisierung von Bildern. Dort hatte der Kunsthistoriker und Fotograf Richard Hamann als Ordinarius für Kunstgeschichte seit 1913 das Bildarchiv Foto Marburg zur Dokumentation von europäischen Kunst- und Bauwerken als Lehr- und Forschungssammlung begründet, das heute als Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg Betreiber des Bildindex der Kunst und Architektur (www.bildindex.de) ist, einem internationalen Verbundportal der Kunst- und Kulturgeschichte. Da ein Schwerpunkt des Marburger Bildarchivs auf der Dokumentation von Werken der Architektur lag, war der Fotobestand dort topografisch angelegt worden. Auf Initiative Warnkes und seiner Kollegen Heinrich Klotz und Lutz Heusinger wurde in den 1970er Jahren eine zusätzliche Erfassung nach dargestellten Themen vorgenommen. Zur Anwendung kam dabei das am Kunsthistorischen Institut der Universität Leiden und dem Niederländischen Institut für Kunstgeschichte (RDK) in Den Haag entwickelte System Iconclass, eine alphanumerische Klassifizierung, mit der Bilddetails in kodierter, maschinenlesbarer Form erfasst und nach ihren ikonografischen Inhalten aufgeschlüsselt werden.

Eigenes System
Obwohl Warnke einzelne Iconclass-Notationen für seine in Zettelkästen angelegte Bildersammlung als Kategorien übernahm, entschied er sich gegen eine vollständige Anwendung auf den eigenen Forschungsapparat. Stattdessen verwendete er für den BPI meist recht allgemein gefasste Schlagworte, unter denen er die Bilder ablegte. So finden sich in den mitunter umfangreich bestückten Kategorien teils ähnliche, teils sehr verschiedene Motive. Während Iconclass sich auf begrifflich genau festgelegte Bildelemente stützt, werden die Bilder im BPI lediglich einzelnen Themenbereichen zugeordnet und oft unter Schlagworten erfasst, die ikonografisch ganz unterschiedlich visualisiert werden können, beispielsweise Demokratie/Kritik (95/15). Ähnlich wie bei Warburgs Bibliotheksprinzip der »guten Nachbarschaft«, nach dem Bücher verschiedener Disziplinen und Epochen nebeneinanderstehen konnten, um beim Benutzer fruchtbare Assoziationen auszulösen, wurden damit in den BPI-Kategorien unerwartete Querbezüge zwischen Bildern unterschiedlicher Motivik und Herkunft möglich. Auch die Umsortierung von Bildkarten unter andere Stichworte oder die Einordnung von Doubletten unter verschiedene Kategorien waren auf diese Weise möglich.

Hamburg: Erweiterung
Nach seinem Wechsel an die Universität Hamburg begann Warnke seinen privaten Forschungsapparat auszubauen und legte 1981/1982 für das Kunstgeschichtliche Seminar einen thematisch sortierten Dia-Sonderbestand zur politischen Ikonografie an. Dabei wurde wohl von Beginn an eine doppelte Bildablage geführt: Dias dienten zum Einsatz in der Lehre; die auf Karteikarten aufgeklebten und beschrifteten Fotoabzüge Warnkes bildeten seinen Handapparat für die eigene Forschung. Damit setzte er eine Praxis fort, die bereits sein Vorgänger in Hamburg, der Kunsthistoriker Wolfgang Schöne, gepflegt hatte, begann jedoch damit, »die Bildabzüge nach einem eigenen Interesse zu ordnen, nämlich nach Themen aus der politischen Ikonographie, die meinem alten Zettelkasten entsprachen, die ihn aber auch erweiterten« (Martin Warnke: Vor der Synapse, in: Zettelkästen. Maschinen der Phantasie (hrsg. v. Heike Gfrereis u. Ellen Strittmatter), Marbach 2014, S. 145–146, S. 146). 

Kulturwissenschaftliches Institut Essen: Schubkraft
Von 1989 bis 1991 baute Warnke als eines der Vorstandsmitglieder das Kulturwissenschaftliche Institut in Essen mit auf und beschäftigte sich dort verstärkt mit politischer Ikonografie. In einer Studiengruppe des Essener Instituts untersuchte er die deutsche Bildpropaganda des Ersten Weltkriegs und der Zwischenkriegszeit. Warnkes ins Ruhrgebiet transportierter BPI wurde um einige Rubriken ergänzt, etwa um Nagelmänner (100/10/5) oder Parteien, Werbung (342/30). Bei der Vorbereitung eigener Buchprojekte erweiterte Warnke seine Bestände zur Herrscherikonografie sowie zur politischen Landschaft. Der BPI als Forschungsapparat wuchs in dieser Zeit erheblich.

Ausbau und Systematisierung
Mit Mitteln des Leibniz-Preises, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft Warnke 1991 als erstem Kunsthistoriker verliehen hatte, baute er seine Sammlung von Bildbelegen in Hamburg systematisch im Rahmen einer neu gegründeten Forschungsstelle Politische Ikonographie aus und machte sie schließlich im Warburg-Haus für die Benutzung zugänglich. Ausgehend von bis dahin etwa 80.000 gesammelten Bildbeispielen wurde der Bestand durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Forschungsstelle sowie des Graduiertenkollegs Politische Ikonographie (1990-2002) aus konkreten Forschungsarbeiten heraus aufgestockt. Vor allem einschlägige Publikationen wurden ausgewertet, wobei deren Abbildungen teils in großem Umfang reproduziert wurden. Parallel dazu wurde eine Spezialbibliothek angelegt, die nach denselben Schlagworten wie die Bildkarten geordnet ist, so dass visuelles Material und Forschungsliteratur unmittelbar miteinander verknüpft sind. In dieser Ausbauphase wurde auch die Systematik des Bestandes überarbeitet: Neue Schlagworte wurden vergeben, alte Kategorien teils umbenannt, Ober- und Unterkategorien überprüft und erstmals mit der noch heute gültigen Numerierung versehen (siehe Systematik des Bildindex zur Politischen Ikonographie). Außerdem wurden Sonderbestände unter anderem mit Bildpostkarten vor allem aus der Zeit der beiden Weltkriege sowie mit Notgeldscheinen aus der Zwischenkriegszeit erworben (siehe Sonderbestände). Darüber hinaus wurden gezielt einzelne Fotokampagnen durchgeführt, etwa zu Abbildungen aus der Zeit Ludwigs XIII. und Napoleons aus den Beständen der Pariser Bibliothèque nationale de France oder aus mittelalterlichen Rechtshandschriften sowie zu faschistischer Bauplastik in Italien (siehe Nordhoff-Archiv unter Sonderbestände).  Mit Ausnahme der im Original einsortierten Postkarten und Zeitungsausschnitte wurde der Großteil der Bildbelege in der Form von Reproduktionen erfasst, die, unterstützt mit Mitteln des Leibniz-Preises, von der Fotostelle der Universität Hamburg angefertigt wurden. Der Zuwachs des BPI lässt sich anhand der im Warburg-Haus archivierten Bildbestellungen lediglich schätzen. Zwischen 1991 und 1996 wurden etwa 135.000 Kleinbildabzüge angefertigt.

Monument der Wissenschaftsgeschichte
Die Werke auf den Karten des BPI umfassen heute einen Zeitraum von der Antike bis ins frühe 21. Jahrhundert und reichen über sämtliche Bildgattungen von klassischen Gemälden, Architekturen und Skulpturen über Ephemera wie Druckgrafiken, Flugblätter, Postkarten oder Werbebroschüren bis hin zu zeitgenössischen Pressefotografien oder Wahlkampfplakaten. Der Schwerpunkt der Sammlung liegt dabei auf der westlichen Ikonografie; Bildbelege außereuropäischer Kunst und Kultur sind, abgesehen von Beispielen aus den USA, nur ausnahmsweise vorhanden. Erklärtes Ziel des BPI war, so Warnke, »weniger eine vollständige Dokumentation als eine Entfaltung von Problemen« (Martin Warnke: Der Bildindex, in: Bildindex zur politischen Ikonographie, Hamburg: Privatdruck 1993, S. 13-14, S. 13). Diesem dezidiert heuristischen Charakter entspricht auch die Uneinheitlichkeit sowohl der Schlagwort-Systematik als auch der Verteilung der Bildbelege in den einzelnen Kategorien. Außerdem wurde in dem zunächst nur für den internen Gebrauch angelegten BPI auf einheitliche Quellenangaben verzichtet, Werkstandorte, Zuschreibungen und dergleichen wurden nicht durchgehend überprüft. Martin Warnke hat die Sammlung auch noch nach seiner Emeritierung 2003 bis in sein letztes Lebensjahr mit einzelnen Belegen bestückt. Danach wurde die Sammlung nicht weitergeführt. Somit stellt der BPI ein in sich abgeschlossenes Konvolut dar und soll als Monument der Wissenschaftsgeschichte in analoger wie digitalisierter Form bewahrt werden. Ausgehend von den Sammlungsbeständen des BPI, diese aber um neue Stichworte und nicht erfasstes Material erweiternd, wurde bereits 2011 ein groß angelegtes Sammelwerk zu einschlägigen Begriffen (von »Abdankung« bis »Zwerg«) publiziert (vgl. Uwe Fleckner, Martin Warnke u. Hendrik Ziegler (Hrsg.): Handbuch der Politischen Ikonographie, München 2011, 2 Bde.; Neuauflage unter dem Titel Politische Ikonographie. Ein Handbuch, München 2014, 2 Bde.). Zukünftige Erweiterungen der Datenbank, etwa im Hinblick auf die politische Ikonografie als globale Forschungsherausforderung, sind beabsichtigt und werden dementsprechend als nachträgliche Ergänzungen gekennzeichnet. Während der Corona-Epidemie wurden 2021-2022 ausgewählte Bildkarten online veröffentlicht und auf ihre wissenschaftliche Leistungsfähigkeit hin befragt (siehe Bildkarte des Monats: Fundstücke aus dem Digitalisierungsprojekt »Bildindex zur Politischen Ikonographie« in der Rubrik »Tagebuch« auf der Homepage des Warburg-Hauses).

Digitalisierung
Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Hamburg wurden zwischen 1994 und 2002 Teilbestände des BPI unter dem Namen Warburg Electronic Library in einer Datenbank erschlossen und vorübergehend online zugänglich gemacht, darunter Indexkarten zur Herrscherikonografie (»Regentenbank«) sowie ein Sonderbestand mit Pressebildern zu den Anschlägen des 11. September 2001. 
Seit 2017 entwickelte das Warburg-Haus gemeinsam mit dem Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg die wissenschaftliche Konzeption einer vollständigen und nachhaltigen Digitalisierung des BPI, deren Finanzierung 2019 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligt wurde. Mit der hier zur Verfügung stehenden Online-Datenbank ist der Bildindex zur Politischen Ikonographie nun über Hamburg hinaus als Forschungsinstrument nutzbar. Es war für alle Beteiligten eine tief empfundene Freude, dass Martin Warnke die Nachricht von der Bewilligung des Digitalisierungsvorhabens noch zu Lebzeiten erreicht hat: »Ich bin überzeugt«, schreibt er in einem seiner letzten Briefe, »dass das Projekt, das Sie so sorgfältig vorangebracht und bei der DFG erfolgreich landen konnten, eine schöne Blüte im kunstgeschichtlichen Forschungsfeld darstellen wird« (Brief an Uwe Fleckner, 21. November 2019).