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Sonderbestände

Bildpostkarten
Im Jahr 1900 wurden über 950 Millionen Postkarten durch die deutsche Reichspost zugestellt. Dabei reichte ihre Popularität als demokratisches Kommunikationsmittel in alle Bevölkerungsschichten. Die Motivwelt sogenannter Bildpostkarten umfasste Themen aus vielen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens. Aufgrund ihres Zwecks, schlagkräftige Bilder zu allen Arten von Anlässen zu versenden, kann die Bildpostkarte mit ihren politischen, kulturellen oder kommerziellen Botschaften durchaus als Vorläuferin heutiger sozialer Medien betrachtet werden (vgl. Elisabeth von Hagenow: Propaganda per Hand. Politische Gesten auf Postkarten, in: Martin Warnke (Hrsg.): Politische Kunst. Gebärden und Gebaren, Berlin 2004, S. 53-72, S. 71).
Eine vielfältige Sammlung von 1.500 deutschen und internationalen, teils gelaufenen (das heißt verschickten), teils nicht gelaufenen Bildpostkarten ergänzt als Sonderbestand den Bildindex zur Politischen Ikonographie (BPI). Angelehnt an dessen Systematik finden sich hier in 36 Ober- und 17 Unterkategorien gut erhaltene Exemplare aus der Zeit von 1916 bis 1950. Unter Schlagworten wie Krieg, Nationalsozialismus, Zeichen und Symbole der Macht, Denkmal oder Herrscherbild finden sich Feld- und Propagandapostkarten aus beiden Weltkriegen, Kunstpostkarten sowie Ansichtskarten. Bei den meist anonym gestalteten Karten wurden mehrheitlich bereits vorhandene Motive etwa von Plakaten, Reklamebildern, Fotomontagen oder Gemälden verwendet. Als historische Zeitzeugnisse vermitteln die Beispiele des Hamburger Bestands in ihrer ästhetischen und inhaltlichen Bandbreite einen Einblick in den politischen Bildgebrauch vor allem während und zwischen den Weltkriegen. In seinen Aufzeichnungen schreibt Martin Warnke im Februar 1993 zu den Erwerbsgründen für 230 politische Propagandapostkarten: »Der wichtigste Gesichtspunkt […] war jedoch nicht der ikonographische, sondern der ästhetische: Die Kollektion sollte erklärbar machen, warum dieses Medium über Jahrzehnte hin eine so große Faszination ausüben konnte; zugleich sollte die Forschungsstelle über einen kleinen Stock originalen Materials verfügen, das sich auch für kleinere Ausstellungen eignet« (Erwerbungen aus dem Leibniz-Preis. Neuzugänge, Warburg-Haus, Archiv).

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If you want to fight! Join the Marines, Propagandapostkarte, Reproduktion eines Plakats von Howard Chandler Christy, um 1914-1918

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Am Anfang war das Wort (Hitler spricht), Propagandapostkarte, Reproduktion eines Gemäldes von Hermann Otto Hoyer, 1937

Die dem BPI angegliederte Sammlung setzt sich teils aus kleineren Schenkungen zusammen, unter anderem von Anni Wagner-Warburg (1899-1993), die 1927/1928 bis 1937 als Assistentin am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn tätig war, und aus deren Nachlass auch Teile ihrer Bibliothek als Schenkung an die Forschungsstelle Politische Ikonographie sowie an die Bibliothek des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Hamburg gelangten (vgl. Martin Warnke: Abschlußbericht über den Leibniz-Preis, 1991, S. 9-10, Warburg-Haus, Archiv). Den Großteil, etwa 1.000 Stück, erwarb die Forschungsstelle jedoch mit Hilfe der Gelder des Leibniz-Preises zwischen 1993 und 1996 gezielt aus dem Doublettenbestand des Münchner Sammlers Karl Stehle (1939-2013), »eine Sammlung, die ganz zu erwerben allerdings die Möglichkeiten des Preisgeldes [die Mittel des Leibniz-Preises] leider übersteigt« (Martin Warnke: Vorwort, in: Politik und Bild. Die Postkarte als Medium der Propaganda (hrsg. von der Forschungsstelle Politische Ikonographie), Hamburg 1994, S. 7). Teilverkäufe der Sammlung Stehle nach dessen Tod im Jahr 2013 erzielten bei einer Versteigerung die Rekordsumme von 1,7 Millionen Euro. Überlieferte Rechnungen belegen die Käufe der Forschungsstelle, begleitende Korrespondenzen dokumentieren darüber hinaus den wissenschaftlichen Austausch beim Aufbau des Sonderbestandes. Es wurden nicht nur Postkarten bestellt und getauscht, auch wurden Bestellungen zurückgeschickt, wenn sie nicht zu den Beständen des BPI passten. Stehles Sammlung, die mit etwa 600.000 Karten auf eine der umfangreichsten ihrer Art angewachsen gewesen war, fasste »die Ansichtskarte als Spiegel der Politik im Alltag« (Karl Stehle im Gespräch mit Dieter Weidmann, 1996, in: Auktionshaus Christoph Gärtner (Hrsg.): Die Ansichtskarten des Karl Stehle, Bietigheim-Bissingen 2013, S. 8). Auch deshalb bot sich die Integration eines Teils dieser Sammlung in den BPI an.

Nordhoff-Archiv
Mit dem Machtantritt Mussolinis am 30. Oktober 1922 veränderte sich auch die Architektur Italiens, insbesondere in der Hauptstadt Rom. Die unter dem neuen Regime entstehende faschistische Architektur bezog sich auf Bauformen und -elemente vor allem der römischen Antike. Mussolini ließ mittelalterliche Wohngebiete abreißen und legte Bauten aus der Kaiserzeit frei, die er sowohl städtebaulich als auch ideologisch mit neuer Architektur verband. Noch heute ist das Stadtbild Roms durch Werke der faschistischen Architektur geprägt: von den großen Bauprojekten wie der Esposizione Universale Roma oder der Città Universitaria, bis hin zu Kinos, Häuserfassaden, Statuen, Fresken und Reliefs. Diese architektonischen Zeitzeugen fotografierte Claudia Nordhoff, die Kunstgeschichte an der Universität Hamburg studiert hatte und nach Rom übergesiedelt war. Etwa 850 ihrer Fotografien wurden als Sonderbestand in den Bildindex zur Politischen Ikonographie (BPI) übernommen. Im Gegensatz zu den beiden anderen Sonderbeständen der Bildpostkarten und Notgeldalben ist das sogenannte Nordhoff-Archiv im analogen Index in die Karteikartenkästen einsortiert worden. Thematisch sind auf den Fotografien der römischen Architekturen und Architekturteile vor allem idealisierte Darstellungen von Arbeitern und mythologischen Figuren sowie den Faschismus verherrlichende Embleme und politische Szenen vertreten. 

[1 Beispiel mit Liktorenbündel, 1 Beispiel mit Spuren von Zerstörung oder Kommentar hier einfügen; inkl. Bildlegenden]

Immer wieder taucht auf den Fotografien das Rutenbündel mit einer Axt auf, das sogenannte Liktorenbündel (»fasces«), ein antikes, von den Etruskern stammendes Symbol für die uneingeschränkte Macht der Herrschenden. Im Römischen Reich wurde es den Amtsträgern von sogenannten Liktoren vorangetragen. So wie das faschistische Italien architektonisch durch die Verknüpfung von antiken und modernen Bauten auf das Römische Reich verwies, geschah dies auch durch die Adaption des Symbols des Liktorenbündels, das während der Regierungszeit Mussolinis unter anderem als Staatswappen, Parteiabzeichen und Symbol für die Italienische Waffen-SS diente. Bereits 1927 untersuchte Aby Warburg in seinem Vortrag Die Funktion der sozialen Mneme als Bewahrerin der antikisierenden Dynamo-Engramme der Gebärdensprache die Verbreitung solcher nachlebender Symbole auch im faschistischen Italien (Aby Warburg: Bilderreihen und Ausstellungen (hrsg. v. Uwe Fleckner u. Isabella Woldt), Berlin 2012 (Gesammelte Schriften. Studienausgabe, Bd. II.2), S. 135-149). Heutzutage präsentieren sich viele dieser faschistischen Bauten, Skulpturen und Fresken unkommentiert im öffentlichen Raum italienischer Städte und Gemeinden. Einige der im BPI dokumentierten Beispiele weisen Spuren handgreiflicher Rezeption durch römische Bürger auf: Abgeschlagene Reliefs und mit Graffiti kommentierte Gebäudefassaden belegen die Absicht, sich vom faschistischen Regime und seiner Architektur zu distanzieren.

Notgeldalben
Notgeld diente in Krisenzeiten als Ersatz staatlicher Zahlungsmittel. Als Folge des Ersten Weltkriegs wurden in Deutschland von 1914 bis 1923 solche Ersatzwährungen ausgegeben, da Münzen bereits kurz nach Kriegsbeginn als Material für die Rüstungsproduktion eingezogen wurden. Folglich produzierten einzelne Ortschaften selbst Papiergeld mit kleinen Nominalwerten. Deutschlands Niederlage verschärfte die Situation im Land weiter. Der Staat hatte aufgrund von Kriegsfolgelasten beziehungsweise durch das Zurückzahlen von Kriegsanleihen hohe Schulden angehäuft. Hinzu kam das Eingeständnis der Kriegsschuld Deutschlands im Versailler Vertrag, wodurch Entschädigungsleistungen (Reparationen) an die Siegermächte entrichtet werden mussten. Die Reichsbank sah keinen anderen Weg, dem benötigten Bedarf vor allem an Kleingeld nachzukommen, und erlaubte deutschen Städten und Gemeinden und sogar einzelnen Unternehmen die Ausgabe von Ersatzwährungen, die unter anderem bei der Lohnzahlung und von Geschäften des täglichen Bedarfs als Wechselgeld in Umlauf gebracht wurden. Die emittierten Scheine waren nur für die jeweilige Region und für einen begrenzten Zeitraum gültig. Die ersten Notgeldscheine wurden zumeist lediglich mit ornamentalen Mustern, dem jeweiligen Stadtwappen oder dergleichen versehen.
Ab 1918 produzierten zahlreiche Druckereien dann Notgeld mit repräsentativen, oft stadt- und kulturhistorischen Motiven. Es entstand ein rasch wachsender Sammlermarkt, wodurch die Gemeinden eine Möglichkeit erkannten, ihre Kassen aufzufüllen, indem sie Serienscheine mit kleinem Aufpreis verkauften. Dies führte auch zu anspruchsvolleren Gestaltungen. Wettbewerbe wurden öffentlich ausgeschrieben, namhafte Künstler und Grafiker bewarben sich mit ihren Entwürfen.

Notgeldschein über 1 Mark, ausgegeben von der Gemeinde Tonndorf-Lohe zum 30. März 1921, Entwurf von J. Nägele, 6,1 x 9 cm, BPI-Nr. 153

Der hier abgebildete Notgeldschein der Gemeinde Tonndorf-Lohe zeigt beispielhaft die oft politisch motivierte Ikonografie dieser bescheiden produzierten Blättchen. Auf dem humorvoll gestalteten Schein steht der deutsche Michel, eine Personifikation des Deutschen Reichs, hinter einer völlig durchlöcherten Geldbörse (»Staatssäckel«) vor schwarz-rot-goldenem Hintergrund, betitelt als »Jungen Pumpsack, Olen Lumpsack!« (sinngemäß: Für die Jungen ist es ein Geldsack zum Borgen, für die Alten ein Lumpensack). Auf der Rückseite ist ein kurzer, ebenfalls plattdeutscher Spruch abgedruckt. Dort heißt es, dass die Zeiten schlecht seien, das Brot sei dünn und das Geld aus Blech und minderwertigem Papier, was die den Spruch begleitende Eule, eigentlich ein Sinnbild der Klugheit, ratlos erscheinen lässt. Diese Gestaltung ist ein Beleg dafür, dass das Medium der Notgeldscheine auch dazu verwendet wurde, Kritik an den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Zuständen in Deutschland zum Ausdruck zu bringen.
Aufgrund der großen Nachfrage war es schwierig, Notgeld im Umlauf zu halten. Der daraufhin ausufernden Notgeldproduktion wurde allerdings mit dem Gesetz über die Ausgabe und Einlösung von Notgeld vom 17. Juli 1922 Einhalt geboten (Reichsgesetzblatt 1922, I, S. 693). Um unkontrollierte Ausgaben zu verhindern, war es ab September 1922 nur noch möglich, auf Antrag und mit einem hinterlegten Gegenwert bei der Reichskreditgesellschaft Notgeld legal zu emittieren. 1923 spitzte sich die Situation im Westen Deutschlands mit dem sogenannten Ruhrkampf zu. Die rapide Geldentwertung durch das fortlaufende Drucken von Scheinen (Hyperinflation) erreichte ihren Höhepunkt, wodurch größere Nominale erforderlich wurden. Die aufgedruckten Werte erreichten nun bis zu Milliarden und sogar Billionen Mark.
Der dem Bildindex zur Politischen Ikonographie (BPI) angegliederte Sonderbestand von 478 in Alben zusammengestellten Notgeldscheinen umfasst Beispiele vornehmlich aus der Zeit des Seriennotgelds (1918-1922). Darunter befindet sich eine große Anzahl an Scheinen aus dem Norden Deutschlands, da hier die Notgeldproduktion besonders aktiv war: »Mit 342 Ausgaben […] kam jede vierte Serie in Deutschland aus Hamburg und Schleswig-Holstein« (Hans Joachim Kürtz u. Jutta Kürtz: Für Gold und Silber nimm den Schein… Aus einem Kapitel norddeutscher Geldgeschichte, Lübeck 1981, S. 10). Der Sonderbestand umfasst Notgeldscheine aus Papier, Holz, Leder und Leinen, die von unterschiedlichen Körperschaften ausgegeben wurden. Die Provenienz der Alben ist bisher noch unbekannt. Jedoch ist ersichtlich, warum Martin Warnke eine Notgeld-Sammlung als Sonderbestand erworben hat. Die Scheine weisen in der Regel solche Motive auf, die (auch) politische Botschaften verbildlichen, beispielsweise Darstellungen von Städten, historischen Ereignissen, Propaganda und Kritik am Staat. Sie stehen damit in einem engen Zusammenhang zum Hauptbestand des BPI.